Schleigeschichten

Zu meiner Zeit hieß es einfach „Schleswig an der Schlei“ (PLZ 238) und heute sagt man „Die Wikingerstadt am Ostseefjord“ (24837). Damals (1971) hatten wir gut 33.000 Einwohner, 2011 waren es nur noch knapp über 24.000. – – –

Ab dem Jahr 1961 (34.400 E.) fuhren wir mit den katholischen Jugendgruppen an jedem 1. Mai nach Weseby. Das war auch gleichzeitig die Eröffnung der Schleischifffahrtssaison.

Von der kleinen roten Kirche im Lollfuss liefen wir zum Schiffsanleger gegenüber der Schleihalle, die damals natürlich noch stand und bestiegen die „Möwe“ mit ihrem Kapitän, Herrn Bischoff. Im frischen Morgenwind ging es vorbei an der Möweninsel. Im Winter 1962 war ich mit meinem Vater und meinen Geschwistern diese Strecke auf der damals zugefrorenen Schlei bis hierher gewandert. Eigentlich war die Möweninsel Vogelschutzgebiet und durfte nicht betreten werden. Jedoch war dies erlaubt, wenn es eben die Eisverhältnisse zuließen. So betraten wir damals den letzten weißen Fleck Schleswigs.

Ansonsten durfte dies nur der „Möwenkönig“ tun. Um 1110 n.Chr. baute Knud Lavard die Jürgensburg auf der Insel, von der es heute (und auch 1962) keine Reste mir gibt. Im Mittelalter konnte man die Möweninsel von der Altstadt her sogar über einen Holzsteg erreichen. Lachmöwen gibt es nachgewiesen auf der Insel seit 1739. – Auf der rechten Seite lag Haddeby.

In den 1950er Jahren, als wir noch kein Auto hatten, sind wir als Familie oft vom Dannewerkredder mit dem Bus zur Schleihalle gefahren und von dort mit dem offenen Boot „Hans“ rüber nach Haddeby getuckert.

Damals gab es in Haddeby rechts vom Schiffsanleger noch einen richtig breiten Sandstrand und wir bauten Burgen und plantschten im sauberen Schleiwasser. Da sich die meisten Schleswiger im Louisenbad, oder Marienbad, oder gar an Eckernförder Bucht aufhielten, hatten wir diese Idylle meist für uns alleine. Als ich im Herbst vergangenen Jahres 2015 (also nach fast 60 Jahren) genau an dieser Stelle war, fand ich nur noch Schilf bis ans Wasser und einen kleinen Yachthafen samt monströsem Eisenkran vor.

Aber das Café (heute „Odins“) an der Hauptstrasse gab es damals schon und im Garten, im Schatten der damals bereits mächtigen Bäume, tranken wir Kinder ein Glas „Sinalco“ (sine alcohole = ohne Alkohol). – Nachdem wir die Kleine Breite und die Meerenge von Reesholm (Stexwiger Enge) hinter uns hatten, ging es über die nicht ganz ungefährliche Große Breite.

Hier kam die „Möwe“ bei ungünstigem Wind oft ins Schaukeln. Natürlich passierte uns nichts. Ganz anders fast Andreas, meinem älteren Bruder. Unser damaliger Kaplan Mayer hatte ziemlich reiche Eltern. Sie besaßen in Osnabrück ein großes Café und sponserten der Schleswiger Kirchengemeinde für die Jugendarbeit ein Sportruderboot: ein Achter mit Steuermann. Andreas und „seine“ Crew, mit Hermann Grewe, Siggi Mydlarz, Axel Schüssler, Hänschen Braun, Godehard Sommer und anderen, fuhren mit diesem Boot von dem Schiffsschuppen,

der neben dem Freibad (links neben Luisenbad) stand, hinaus auf die Schlei bis nach Missunde und zurück. Bei einem ihrer Ausflüge wären sie fast mitten auf der Großen Breite gekentert, was ziemlich schlimm hätte ausgehen können, denn hier ist die Schlei über vier Kilometer breit. – Als wir nun mit der „Möwe“ in Missunde (Sund = Meerenge) angelegt hatten, setzten wir (mit der von Hand betriebenen?) Fähre rüber von Angeln nach Schwansen (von einem Ufer zum anderen sind es nur 130 Meter und die Fähre gibt es seit 1860) und wanderten in einer langen Kolonne

bis an die Steilküste von Weseby, von wo man gegenüber der Bucht der Großen Breite die alte Ziegelei von Borgwedel sehen konnte. An der Steilküste tobten wir rum und spielten am Strand viel Fußball. Es muss 1961 gewesen sein, als Peter Moldenhauer, von uns nur „Pemo“ genannt, mit vier von uns Jungs nach Borgwedel zur alten Ziegelei fuhr, um mit uns ein paar Tage dort zu zelten. Am ersten Abend gab es Erbsensuppe mit Kochmettwürsten und vorher hatte ich mir meinen rechten Unterschenkel heftig zwischen den Puffern zweier Loren, mit denen wir auf den noch vorhandenen Gleisen herumfuhren, eingeklemmt. Bereits am nächsten Vormittag war es aber vorbei. Pemo hatte nämlich ein paar finstere Gestalten, die um die Ziegelei schlichen ausgemacht, bekam die Panik und befahl, dass wir sofort die Zelte abbauen (besser: abreißen) und unsere Klamotten, so wie sie waren, in den Kofferraum des VWs stopfen sollten. Dann brauste er mit uns los, zurück auf die Hauptstrasse.

Meine Mutter war hell entsetzt, als mich Pemo im Dannewerkredder abgesetzt hatte, denn all meine Sachen lagen wild durcheinander vor unserer Haustür. Und was Weseby anbetrifft: Zehn Jahre später habe ich hier mit meinem guten Kumpel Olaf „Ollie“ Erichsen einen meiner ersten Filme mit einer „Super 8“ – Kamera gedreht. Wir beide total langhaarig, verwegen schauend und ich spielte auf einer zwölfsaitigen Gitarre, die ich bei „Musik Reuter“ am Kornmarkt ganz spontan gekauft hatte. Den Film gibt es leider nicht mehr. Und das ist eine andere, etwas ärgerliche Geschichte, die ich vielleicht auch einmal erzähle.

[Admin: Die Fotos sind aus dem Bestand des „Klassentreffens“ hinzugefügt worden]

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