1. Folge
Im zweiten Lehrjahr bei Radio-Voigt habe ich in meinen jungen Jahren das erste Mal eine Frau in Strapsen gesehen. Sie hatte – wohlgemerkt – sonst nichts an.
Und das kam so.
Die ganzen Einzelheiten aus der Werkstatt, erzähl‘ ich vielleicht später mal. Mit dem Hund der Chefin wurde ich gut Freund und das Thema „Chefin“, die mich als knackigen jungen Mann richtig sexy fand, erfüllte auch alle Klischees. Da schweigt aber des Sängers Höflichkeit.
Mit dem zweiten Mann in der Werkstatt, „Kuddl“, kam ich prima zurecht. Er war schon älter, 55, wortkarg, aber er hatte sich ein junges Herz bewahrt. Wir bekamen einen geheimnisvollen Auftrag. Es sollte eine Lichtanlage repariert werden. Wo, wurde nicht gesagt. Der Chef witterte wohl Umsatz und beauftragte Kuddl – und Kuddl nahm mich mit.
Frühes Aufstehen war noch nie meine Sache, aber in diesem Fall wurde ich schon vor dem Morgengrauen wach. Um 4 Uhr früh sollte ich mich mit Kuddl am Hafen treffen. Dort würden wir mit dem Boot abgeholt werden. Kuddl hatte gesagt „Vergeet dat Beer nich…“. Hatte ich nicht. VierFlens, die Brotdose und Gummistiefel hatte ich als Ausstattung dabei. „Dat Warktüch“ hatte Kuddl mit. Da war er eigen. Dazu natürlich seine Buddeln Bier. Ich glaube, er schleppte sechs Flaschen mit. Sicher ist sicher. Er war ja schon richtig ausgewachsen. Hinter dem Kohlenschuppen von Horn lag der Kahn. Ein ehemaliges Sturmboot der Marine mit Persenning. Der Typ an Bord konnte wohl nicht reden. Klein, breit, bärtig und muffig winkte er uns an Bord und tuckerte sofort los. In Richtung Gashalbinsel. War ja nicht weit
bis zum Steg von Erichsen und Menge. Es stank nach Teer. Kaum hatte wir am Steg festgemacht, löste sich eine Gestalt aus dem Halbdunkel, offensichtlich ein Kerl im Mantel mit hochgezogenem Kragen und ging eiligen Schrittes auf die Brücke. Er raunte unserem Mann am Ruder etwas zu und verschwand schnell wieder
hinter den schmierigen Anlagen. Schon waren wir wieder unterwegs in Richtung Haddeby. Fragen mussten wir beide nicht, wir kannten uns ja aus und der Typ hätte unsere Fragen sowieso nicht beantwortet. Es war ein ungemütlicher Herbstmorgen. Ab und zu kam in kurzen Schauern sogar Hagel runter. Dann sieht die Schlei aus, als hätte sie Pickeln. Haddeby. Der Anleger morsch und scheinbar kurz von dem Zusammenknacksen. Ein Mann mit zwei Koffern auf dem Steg. Die Koffer waren offensichtlich schwer. Sie wurden von unserem brummigen „Kapitän“ mit einiger Mühe in die vordere Klappe des Bootes
reingewuchtet. „Verdammt, kannst du nicht vorsichtiger sein!“ bellte der Mann auf dem Steg. Er kam dann an Bord. Guckte mürrisch, hatte für uns nur ein Kopfnicken übrig und kauerte sich wortlos auf die Bank beim Rudermann und schwieg bis, äh … ja wo. Naja, wir werden sehen… Es ging weiter die Schlei hoch, Richtung Große Breite. Kuddl und ich fanden einen Platz, wo das Spritzwasser nicht hinkam, guckten uns kurz an und guckten in unsere Brotdosen. Das Frühstück fehlte ja sowieso noch und durstig ist man immer – als Handwerker. Mit Schinkenbrot und ’ner Buddl Bier war alles nicht so schlimm. Die Kühe, die auf der Halbinsel Reesholm mit blödem Blick im Wasser standen, nahmen wir als Dekoration des maritimen Ambientes und weiter ging es schnurstacks zur Enge von Missunde. Als wir an der Fähre vorbei kamen, winkte uns Jöns neugierig zu. Nur Kuddl und sein Lehrling winkten zurück. Das war eindeutig unhöflich. Auf dem Wasser ist es üblich, dass zumindest der Schiffsführer einen Gruß erwidert. Trotzdem wurde der Mann aus Haddeby
unruhig. Er stand auf, beugte sich über die Reling und guckte in Fahrtrichtung. Wir fuhren auf eine Halbinsel zu, die kurz hinter Missunde in die Schlei hinein ragte. Zwischen den Bäumen, deren Äste in das Wasser hinein hingen, sah man eine kleine Brücke. Die steuerten wir an und machten fest. Kein Empfangskomitee. Nur Nieselregen. „Dor achtern in de Böhm is Villa Tüxen“ flüsterte mir Kuddl zu. Das
schien ihm erstmal als Information für mich zu reichen.
Wir brachten uns mit unserm Bickbeerenkram auf die Brücke und guckten dann zu, wie die beiden Koffer angelandet wurden. Der Typ aus Haddeby schien auf unsere Hilfe keinen Wert zu legen. Dann standen wir da. Der „Käpt’n“ klappte die Persenning über dem Einstieg runter und verkroch sich auf seinem Kahn.
Von der Brücke ging ein holperiger Weg ins waldige Innere der Halbinsel. Zuerst rackerte sich der Typ alleine mit seinen Koffern ab. Er war unrasiert, hager mit hohlen Backen und irgendwie abgewrackt. Er ließ dann doch zu, dass wir ihm seine Koffer abnahmen. Keuchend schlurfte er hinter uns her und zündete sich einenZigarillo an. Jemand, zum Beispiel Kuddl, auch einen Zigarillo anzubieten, kam ihm nicht in den Sinn.
Schließlich standen wir vor der Treppe der Villa. Die sah eigentlich ganz ansehnlich aus – aber – im Morgengrauen – auch etwas unheimlich. Die zehn Stufen bis zur Doppeltür schafften wir auch noch und klopften. Mich wunderte schon, dass der Klöppel aus Messing eine Nackte war. Hier, mitten in der Walachei, eine Nackte als Türklopfer!
Ich bin kein Proll. Dazu hatten mich meine Eltern nicht erzogen. Aber als ich das Weib sah, das uns die Tür öffnete, wollte ich zu Kuddl „Kiel mol Kuddl, wat ’ne Schlampe“ sagen, konnte es aber Gott sein Dank noch unterdrücken. Kuddl war, glaub‘ ich, auch beeindruckt. Er hatte hinter Schleswiger Wohnungstüren schon viel gesehen, aber das hier war ihm in dieser Ausgestaltung wohl auch teilweise neu.
Ich sag‘ nur: Fett, wirres dünnes Haar, verschmiertes Makeup, dreckiger uralter Morgenmantel aus abgeschabtem Frottee, Zigarette zwischen ordinären Lippen, gelbliche Zähne, als sie „waswolltihrdenn“ krächzte. Nun zeigte unser Haddeby-Mann seine Qualitäten. Er drängte sich mit einem Schritt nach vorne und verpasste der „Dame“ eine Dublette. Sie taumelte und staunte. Ob sie sich richtig schlecht behandelt fühlte, kam mir nicht so vor.
„Bring mich zu Luigi!“ sagte er gefährlich leise. Ohne sich um uns zu kümmern, wurde er dann die Treppe zur Galerie hoch geführt und verschwand mit der Hausbewohnerin aus unserem Blickfeld.
Wir standen in der Halle und guckten uns an. Kuddl hatte keine Angst und ich auch nicht. Logisch. Wir holten jeder ein neues Bier aus der Tasche, ließen es ploppen und nahmen erstmal einen Schluck. Ah!
Wir befanden uns in einem Puff. Das war schon mal klar. Eine Klitsche mit Kundschaft der neureichen notgeilen Sorte aus dem Hinterland. Davon gab es genug. Die schöne Schlei, die später mal ein wunderschönens Ferienland werden sollte, mit Landarzt und so, war damals auch schon schön. Gewissermaßen.
Luigi kam, sah und siegte. Ein charmanter Gastgeber. Er vermute mal, dass er auch ganz anders konnte, wahrscheinlich musste er nicht mehr die Gebrauchsanleitung einer 44er lesen. Aber von uns wollte er etwas. Wir sollten die Lichtorgel reparieren. „Plötzlich standen wir im Dunkeln und musste für die Performance Kerzen anzünden! Scheiße, Scheiße Scheiße!“. Das war nun nicht sehr vornehm formuliert, leuchtete aber ein.
Der Mann war eine technische Doppelnull, wie sich herausstellte. Genau der richtige Kunde. Kuddl ahnte es. Betrat die Bühne, guckte hier und da nach Kabeln und frage dann nach dem Keller. Wir gingen beide runter. Selbst ich sah sofort, was los war. Die Sicherung. „Wir werden jetzt oben sagen, dass durch Feuchtigkeit ’neLeitung dauergeerdet ist. Das werden wir in ner halben Stunde, wenn wir ordentlich ranklotzen, wieder in Ordnung bringen…“. Kuddl blinzelte mir mit sichtbarem Vergnügen zu und verkündete das Ergebnis seiner elektrischen Recherchen den Herrschaften in der Halle. Die hörten kaum zu, schienen aber zufrieden zu sein.
Im Keller gingen unsere Biervorräte schnell zu Ende. Kuddl spendierte mir noch sein vorletztes Bier. Die Stimmung war ausgezeichnet und die neue Sicherung wurde reingedreht. Ab und zu hauten wir mit dem Hammer an die Wand, um einen guten Eindruck zu machen.
Pünklich nach der halben Stunde meldeten wir uns wieder ebenerdig mit der frohen Kunde, dass trotz gewisser Schwierigkeiten alles wieder in Ordnung wäre.
Luigis Miene hellte sich auf. Er hatte wohl seinen guten Tag! „Rosi, komm her!“ ließ sofort unsere Schlampe erscheinen. „Stell‘ ’nen Tisch vor die Bühne, Champagner – und mach‘ die Vorhänge zu! Und schick Natascha!“.
Alles wurde genau so gemacht. Wir vier, der Loddl aus Haddeby, Luigi und wir beide hatten vor uns den perlenden Champagner, der im Eiskübel vor uns stand. „Keine Widerrede“ hatte Luigi gesagt, als wir zum Schein meinten, dass wir nun ja wieder zurück in die Werkstatt müssten. „Erst wird die Lichtorgel getestet“.
Dann kam Natascha. Es war Elke aus der Gallbergschule. Parallelklasse. Sie hatte also Karriere gemacht. Sie erkannte mich zwar, ließ sich aber nichts anmerken. Vielleicht zuckte sie doch ein bisschen mit den Augen? Ich konnte es nicht mit Sicherheit sagen.Die Leserschaft ahnt ja, was jetzt kam. Die Strapse. Die Strapse, die zum Schluss, bis Elke sich von der Bühne zurückzog, noch blieben. Ich wage die Behauptung, dass es ihr sogar Spass gemacht hat. Den wenigen Leuten, denen ich bisher davon erzählt habe, erzähle ich immer, dass sie es besonders für mich gemacht hat. Kuddl hat davon aber nichts gemerkt und war auch begeistert.
Dann wurde es langsam Feierabend…
Nochwas: Was in der Koffern war, habe ich nie erfahren. Es war mir auch egal.
(Fortsetzung folgt)
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´ne tolle Geschichte!
Suleika hieß Natascha, war auch nicht Mitglied in der Bauchtanztruppe, sondern Freiberuflerin, war auch nicht Elfriede aus Wuppertal, sondern war Elke von der Gallbergschule in SL.
Schült wi emm dat glöven?